Historisch: Wels im 1. Weltkrieg6 Min. Lesedauer
Anfang der 1910er Jahre ist Wels noch in einer Entwicklungsphase, zahlreiche Projekte befinden sich in Bau oder noch in Planung, 1910 nimmt der städtische Schlachthof seinen Betrieb auf, und das erste Welser Kino, das Kino „Patry“ öffnet seine Pforten. Im Jahr 1910 zählt Wels 13.828 Einwohner, man ist zur Garnisonstadt geworden, die Bevölkerung ist hauptsächlich katholisch-konservativ beziehungsweise deutsch-national geprägt, das zeigt sich vor allem beim Landtagswahlergebnis von 1909. 850 Stimmen wurden abgegeben, davon erhielten die Deutschfreiheitlichen 850, die Christlich-Sozialen 744 und die Sozialdemokraten 538 Stimmen.
Ein fataler Fehler
1908: 60 Jahre regiert nun schon Kaiser Franz Josef die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie, die Stadt Wels will eine Volksschule im jüngsten Stadtteil Neustadt errichten, außerdem benötigt die aufstrebende Stadt eine Wasserleitung, diese will man zu Ehren des jubilierenden Monarchen „Kaiser-Franz-Josef-Ju-biläumswasserleitung“ nennen. Man geht davon aus, dass gesichertes Wasser-vorkommen im Ortsteil Au bei Gunskirchen zu finden sei. Eine böhmische Firma wird mit Probebohrungen beauftragt, an-schließend erstellt sie einen Kosten-voranschlag. Das aufzuwendende Budget sprengt die finanziellen Möglichkeiten der Stadt, und so begeht man einen folgen-schweren Fehler. Man nimmt zuerst Staats- und dann Kriegsanleihen auf, um die Finanzierung der Volksschule und der Wasserleitung zu sichern. Insgesamt 8 solcher Anleihen nimmt Wels auf, die letzten 14 Tage vor Kriegsende. 1912, zwei Jahre vor Kriegsbeginn, kann lediglich die Volksschule in der Neustadt eröffnet werden. Als zu wenig Geld aus den Kriegsanleihen ausgeschüttet wird, ver-scherbelt die Stadt ihr Familiensilber, welches ausgerechnet ein Altersheim ist. Das heutige evangelische Alten- und Pflegeheim an der Dr. Schauer Straße ist damals eine Seniorenresidenz für wohl-habende Bürger. Bis nach Wien wird für dieses besondere Haus Werbung gemacht, und es wirft Gewinn ab. Um an den Plänen für die Wasserleitung weiter festzuhalten, wird nun das Altenheim an die Diakonie Gallneukirchen verkauft.
Die Ruhe vor dem Sturm
Noch herrscht in Wels Hochkonjunktur, viele Unternehmen siedeln sich an, Wels ist für Unternehmen schon damals insofern interessant, da es an zwei der wichtigsten Bahnlinien Mitteleuropas liegt. Vor allem nord-böhmische und süddeutsche Firmen siedeln sich an. Die bereits ansässigen Unternehmen expandieren, 1913 errichtet die Kunstmühle Fritsch eine durch Pferde gezogene Verbindungs-bahn zum Lokalbahnhof. Der Handel floriert und auch das Militär baut in Wels aus. Insgesamt 1.628 Mann sind in den Kasernen stationiert. Und dennoch gibt es bereits erste soziale Spannungen in Wels.
Ein Erfolgsprojekt entsteht
Die Mietpreise steigen in ganz Österreich-Ungarn, auch die Lebens-erhaltungskosten sind für Arbeiter kaum mehr zu tragen. Der Handels-schulprofessor Alfons Henlein, ein wahrer Welser Visionär, will der Arbeiterschicht endlich leistbares Wohnen ermöglichen. Er und seine Geschäftspartner verfügen weder über Land noch über finanzielle Mittel. Dennoch gründen sie am 29. November 1911 die I. Welser Heimstätten reg. Genossenschaft, Geschäftsführer wird Alfons Henlein. Aus einem öffentlichen Fonds werden Gelder genommen, um damit 20.000 m² Baugrund in Oberhaid (Neustadt) zu kaufen. Dort entstehen nun die ersten 7 Einfamilienhäuser der Welser Heimstätte. Bereits 1912 können diese Häuser bezogen werden. Später im Jahr 1912 werden weitere 19 Einfamilienhäuser gebaut, 1914 wird das erste Mehrparteienhaus der Welser Heimstätte errichtet, dieses steht heute noch und befindet sich in der oberen Grieskirchner Straße. Trotzdem werden die sozialen Spannungen immer größer. 1911 streiken die Maurer, erst durch die Vermittlung von Bürgermeister Dr. Schauer kann der Streik beigelegt werden. Ab Anfang April kommt es zu den wahrscheinlich härtesten sozialen Konflikten im Wels der 1910er Jahre. In der Maschinen-fabrik Titania, die sich auf dem Areal westlich der heutigen Osttangente befindet, kommt es zu einem Streik der gesamten Belegschaft. Schon bald schließen sich andere Arbeiter-bewegungen dem Streik an. Es kommt zu Demonstrationen und Ausschrei-tungen. Erst im Juni kann der Streik beigelegt werden.
Der Beginn der Katastrophe
Am 28. Juni 1914 werden der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gemahlin bei einem Attentat in Sarajewo getötet. Die Nachricht trifft Österreich-Ungarn sehr schwer, hinter dem Attentat wird eine serbische Organisation vermutet. Der Kaiser stellt Serbien ein Ultimatum zur Aufklärung des Attentats, ein Monat später, am 28. Juli 1914, erklärt Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. Die Euphorie über den Krieg ist in der Donaumonarchie ausgesprochen groß, mit nahezu einer Massenhysterie ziehen die Soldaten in den Krieg, welcher anfänglich noch ein Regionalkrieg ist. Durch diverse Bündnispartnerschaften entwickelt sich aus der Glut am Balkan bald ein Flächenbrand über ganz Europa. Mit unendlichem Jubel und Hurra zogen auch aus Wels zahlreiche Einheiten an die Front. Erst durch die Belagerung von Premysl, einer Stadt in Galizien, durch russische Truppen erfuhr die Freude über den Krieg einen ge-waltigen Dämpfer.
Erste Folgen zeichnen sich ab
Die Versorgungslage in Österreich-Ungarn wird zunehmend prekär. 1915 werden erstmals Lebensmittelkarten eingeführt, zudem werden Metalle und Rohstoffe gesammelt. Die erste Welle trifft wie so oft in der Geschichte die Ärmsten der Armen, besonders die Kinder leiden unter Hunger und Mangelerscheinungen. Die Säuglings-sterblichkeit beginnt stark zu steigen. Im Mai erklärt Italien der Donau-monarchie den Krieg, damit ist eine neue Front im Süden eröffnet. Der Krieg weitet sich zur humanen Katastrophe aus. Um die Bevölkerung trotz der schweren Lebensumstände weiter für den Krieg zu begeistern, wird in Wels ein 2,50 Meter großes Holzstandbild von Kaiser Maximilian I. enthüllt. Je nach bezahltem Betrag kann man sich einen unterschiedlich großen Nagel kaufen und in das Standbild schlagen. Manche Nägel sind so groß, dass Firmennamen darauf eingraviert werden können. Die meisten Welser sind patriotischer und kriegsbe-geisterter als je zuvor. Noch im Herbst 1915 wird ein Jungschützenbataillon, bestehend aus Schülern des Gym-nasiums und der Handelsschule, an die Südfront geschickt; viele von ihnen kehren nie wieder zurück. Jene, die wieder zurückkehren, sind gebrand-markt von den Schrecken, die sie am Isonzo erleben müssen. Die öster-reichisch-ungarische Armee ver-schanzt sich auf den Bergen, während die Italiener die Täler besetzen, bei den Schlachten werden des Öfteren von den Feinden der Donaumonarchie Berggipfel gesprengt, unter denen sich k. u. k. Truppen eine Stellung geschaffen haben. Vor allem Erlebnisse wie diese brennen sich in die oft noch jungen Köpfe der Soldaten ein.
Blinde Zuversicht
Trotz der Schreckensmeldungen von den Fronten bleibt man in Wels zuversichtlich. In der Pernau wird ein Truppenübungsplatz, die Schießstätte, errichtet. Mitte der 1950er Jahre entsteht dort ein Wohngebiet. Heute erinnert noch im Zentrum der Schießstättensiedlung eine Säule an das k. u. k. Kaiserschützenregiment I, welches von 1915 bis 1918 in Wels stationiert war. Ab Mitte 1916 werden die Folgen des Krieges in Wels nun immer härter. Eine Ausweitung der Lebensmittelrationierung führt zur Entstehung eines Schwarzmarktes. Eine Missernte im Herbst verschärft die Versorgungslage zusätzlich. In der Stadt Wels, die an sich von Landwirtschaft umgeben ist, werden 3 fleischlose Tage pro Woche eingeführt. Der Hunger in der Bevölkerung wird immer größer.