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Leonimus: Weiße Möwen, Brachvögel und Heuschrecken5 Min. Lesedauer

7. Juli 2016 3 Min. Lesedauer

Leonimus: Weiße Möwen, Brachvögel und Heuschrecken5 Min. Lesedauer

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Leo Rummerstorfer - Flugplatz WelsDiese Heuschrecken – in Gestalt von einigen Industriellen und Gewerbetreibenden – sind also auf die Idee gekommen, das Gelände der Weißen Möwen und ihrer gefiederten Brachvogel-Kumpanen für Betriebsansiedlungen zu nutzen. Wenn auch nur ein minimaler Profit winkt, entsteht in den Augen der Heuschrecken-Community sofort die Notwendigkeit, über Leichen zu gehen und derartig skurrile „Wohngemeinschaften“, wie sie dort vorzufinden sind, zu zerschlagen, zu verjagen oder gleich zu vernichten. Wen interessieren schon ein paar Freizeitpiloten und noch weniger unter Naturschutz stehende Vögel, wenn es darum geht, für höhere Ziele einzutreten und durch entsprechende Arealsnutzung den tadellosen Ruf der Stadt als großmächtige Wirtschaftsmetropole massiv zu fundamentieren. Das alles natürlich mit breiter Rückendeckung durch eine rückgratlose, marionettenhaft agierende Stadtregierung, die wieder mal mit der in Aussicht-Stellung von Arbeitsplätzen gekauft wurde. Wer Arbeitsplätze anbietet, darf alles. Der darf sogar Sportflieger abschießen und Brachvögel in der Werkskantine zu Mittag servieren, sofern es der Sache dienlich ist. Darüber hinaus darf die Stadt durch die Betriebsansiedlungen einen üppigen Schwall von Steuergeldern erwarten, ein Grund mehr noch, den Heuschrecken sämtliche Freiheiten zu gewähren. Brachvögel haben kein Geld und zahlen daher auch keine Steuern. Schlechte Karten für´s Federvieh. Und was die Stadt von der Weißen Möwe bekommt, reicht anscheinend nicht. Vermutlich ist Wels ohne die Einnahmen durch zusätzliche Betriebe hoffnungslos dem Untergang geweiht.

Angesichts dieser Tatsachen bleibt nur noch die Suche nach vertretbaren Kompromissen. Sollen doch die Raubkapitalisten ihre architektonisch potthässlichen Hütten dort aufstellen. Sollen sie diese doch mit den Sklaven der Personalbereitsteller füllen, wenn Möglichkeiten gefunden werden, ein ebenso friedliches Miteinander zu praktizieren, wie es bereits jetzt zwischen den Piloten und den Brachvögeln besteht. Eine Variante wäre zum Beispiel, an der Oberfläche alles so zu lassen, wie es ist – die Betriebe würden in diesem Falle unterirdisch, also unter dem Flughafen, angelegt. Dies hätte auch den angenehmen Nebeneffekt, dass niemand die grauslichen Architekturspinnereien ansehen muss und dass mit dem anfallenden Erdaushub am Rande der Stadt ein kleines, künstliches Gebirge angelegt werden könnte, das wiederum erweiterte Freizeitmöglichkeiten (für die Leasing-Sklaven?) bietet – und auch zusätzlichen Lebensraum für andere seltene Tierarten. Und der Weißen Möwe wäre auch sehr geholfen. Sie könnte Rundflüge über die neu entstandenen Landschaften anbieten. Weniger reizvoll wäre die umgekehrte Lösung – Fabriken oben, Flieger und Vögel in den Keller. Das macht keinen Sinn. Wir sind ja nicht in Nordkorea, wo man die Flugzeuge (aus welchem Grund auch immer) unter-irdisch verstecken muss.

Eine weitere Möglichkeit wäre es, das Ganze einfach senkrecht aufzustellen. Gewiss, ein etwas gewagteres und auch etwas aufwändigeres Projekt. Man stelle sich eine riesige Stahlbetonplatte vor, die in den Boden gerammt wird. Da jedes Ding zwei Seiten hat, kämen auf die eine die Betriebe, auf die andere die Flieger. Alles natürlich 90 Grad zur Erdoberfläche. Die Flugzeuge – die ja erfahrungsgemäß weniger Probleme mit der Schwerkraft haben – könnte man auf dieser senkrechten Rampe einfach mit Katapulten in den Luftraum schleudern. Die Firmen und ihre Sklaven müssten sich andererseits eben daran gewöhnen, dass hier alles um 90 Grad gedreht ist. Astronautentraining wäre in diesem Fall sicherlich „von Vorteil, aber nicht Bedingung“, wie oft so schön in Stellenan-geboten formuliert wird. Primäre Nutznießer dieser Lösung wären die Brachvögel. Durch die verkleinerte Grundfläche, die logischer-weise entsteht, wenn man alles einfach aufstellt, ergibt sich für sie ein erweiterter Lebensraum ringsum. Die Population könnte sprunghaft ansteigen, sogar so stark, dass kein Naturschutz mehr erforderlich ist. Das käme auch wieder den Betrieben zugute. In Zusammenhang mit der Menüauswahl in den Kantinen und so.

Oder man baut die „Hängenden Gärten von Wels“, Gärten der blühenden Wirtschaft und Geschäftigkeit, Paradiese der Produktivität und der Arbeitswelt, frei schwebend in den Lüften über dem Areal, getragen von Heißluftballons und Luftschiffen – während zu schnöder Erde die Weiße Möwe starten und landen kann, wie es ihr beliebt, ja sogar Zubringer-Flüge zu den einzelnen Betrieben könnten planmäßig durchgeführt werden, ein gutes Geschäft für alle, zumal man hierbei auch noch die Option einer touristischen Nutzung hätte – diese Dinger wären doch spätestens nach zwei Monaten Weltkultur-erbe, das erste mit – nicht vergessen! – glücklichen Brachvögeln.

Wie man sieht, gäbe es ja Lösungen. Aber es ist wieder einmal zu befürchten, dass alles seinen typischen Welser Weg geht – Vernichtung des Schönen, des Angenehmen, der Dinge, die unter anderem eine spezifische Stadtkultur ausmachen. Wels wird es offensichtlich nie verwinden können, dass die Unmöglichkeit, Provinzialität und Bedeutungslosigkeit mit der Stadt ebenso untrennbar miteinander verbunden sind wie die Weiße Möwe und der Brachvogel. Letzteres ist aber viel sympathischer und – bei genauerem Hinsehen und darüber nachdenken – wesentlich zukunftsweisender als ein bereits in der Vergangenheit angekommenes wirtschaftswütiges Gesellschaftsmuster. Nur ist Wels noch lange nicht so weit, sich in eine Neuordnung der Dinge einzufügen. Wie es ist, so ist es gut, meint man hier noch immer, während die Welt da draußen schon längst begonnen hat, sich auf die Suche nach neuen Perspektiven und Wegen zu machen. Occupy Wels.